Martin-Sebastian Kreplin
· 14.03.2023
Wasserwandern auf Achse – der Freecamper macht’s möglich. Mit Pick-up und Floß “Freeda” durch die Uckermark – ein Bootsabenteuer der besonderen Art
Langsam, Zentimeter für Zentimeter, erklimmt der Pick-up die Anhöhe vor Bredereiche. Immer mehr Natur erscheint am Horizont. 2,2 Meter Höhenunterschied gilt es zu bewältigen, Brandenburg ist eben ein anderes Kaliber als Friesland. Hier muss man sich jeden Meter hart erarbeiten. Dann öffnet sich das Schleusentor, und die Fahrt kann weitergehen. Langsam tuckert „Freeda“ aus der Kammer heraus gen Norden. Das Tagesziel ist noch Stunden entfernt, von den fünf Kilometern auf dem Tacho muss noch der Gegenstrom abgezogen werden, die vielen Windungen und Kurven, die die Havel schlägt. Was mit dem Fahrrad eine kleine Runde wäre, wird mit „Freeda“ zur ausgedehnten Tagestour. Offroad auf der Havel, das ist in vielerlei Hinsicht eine ganz neue Erfahrung.
Mit 334 Kilometer Länge ist die Havel zwar ziemlich genau zehnmal kürzer als der Mississippi, aber um sich einmal wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu fühlen, reicht das problemlos aus: Schließlich würde man mit fünf Stundenkilometern trotzdem über zwei Monate von der Quelle bis zur Mündung brauchen, und schneller ist „Freeda“ nicht unterwegs. „Freeda“ (und ihre acht Schwestern) ist ein motorisiertes Floß, gerade groß genug, um einem Camper bis vier Tonnen Gesamtgewicht Platz zu bieten. Am Heck ein Außenbordmotor, dazu ein Steuerstand, ein Tank und zwei Anker, fertig ist das Charterabenteuer der anderen Art.
Gut, Huck und Jim hatten es nicht ganz so kommod auf ihrer Fahrt, auch die Strömung der Havel ist deutlich gemächlicher als jene des Mississippi. Der Sternenhimmel, die Freiheit und die Natur, die hätten aber sicher auch Mark Twain gefallen. Für Teilzeit-Flößer startet der Törn an der alten Ziegelei von Zehdenick. Hier, wo Anfang des 20. Jahrhunderts die Ziegel gebrannt wurden, mit denen man große Teile Berlins erbaute, hat sich Markus Frielinghaus einem besonderen Projekt verschrieben: Er lässt Reisemobile zu Hausbooten werden.
Über eine kleine Rampe rollen sie auf den mit Holz belegten Ponton, Spanngurte an den Rädern halten die Camper dann an Ort und Stelle. Strich der Mitsubishi zuvor bei 80 Zentimeter Wassertiefe die Segel, gibt es für unser Auto auch auf dem Wasser fortan fast keine Grenzen mehr – schließlich ist die Havel Teil des europaweit größten zusammenhängenden Gebietes von Binnenwasserstraßen und Seen. Ein Ausflug hinein nach Berlin ist genauso möglich wie eine Tour zum Müritz-Nationalpark. Das Beste daran: Die Stellplatzgarantie ist beinahe inklusive, denn außerhalb von Kanälen und Fahrwassern kann man grundsätzlich überall ankern und festmachen.
Steht der Wagen an Bord, bleibt der Motor aus. Stattdessen übernimmt der am Heck angebolzte 30-PS-Außenborder den Dienst und schiebt das über zehn Meter lange Floß geruhsam vorwärts. Ähnlich behäbig ist auch das Manövrierverhalten. Ruder legen, bis drei zählen und in Erwartung des Kurswechsels bereits wieder gegenlenken. Mit jedem Kilometer wird der anfängliche Schlingerkurs gradliniger, nimmt die Aufregung ab, wenn Gegenverkehr in Sicht kommt. Oder eine Kurve. Oder beides. Im Notfall hilft ein Bugstrahlruder, um den Bug in die Richtung zu schieben, aber das macht Lärm und stört die Idylle. Also übt man sich im besseren Manövrieren und genießt dabei die Natur, die im Schritttempo an einem vorbeizieht. Es ist nicht selten, dass sogar ein Schaf am Ufer schneller ist als „Freeda“.
Die Gewässerkarte hat Markierungen für jeden Flusskilometer, wer nicht aufgepasst hat, nutzt alternativ die Kilometersteine am Ufer, um zu wissen, wo man gerade ist. Eine herrlich analoge Navigation, ganz ohne GPS und digitales Kartenmaterial. Entsprechend simpel ist auch die Törnplanung: einfach die Kilometer abzählen, Wartezeiten bei Schleusen einplanen, fertig. Die Ziegelei von Zehdenick ist noch nicht mal außer Sicht, da ist man schon so entspannt wie nie zuvor. Gut möglich, dass das gleichmäßige Plätschern am Bug seinen Teil dazu beiträgt. Ein Graureiher steht links im Schilf, später raschelt eine Bache mit Frischlingen in Ufernähe, manchmal versteckt sich ein gut getarnter Angler hinter seinem Camouflage-Tarp. Der längste Nebenfluss der Elbe ist reich an Aalen, Hechten, Karpfen und Barschen, eine Tages-Angelkarte gibt es ab 15 Euro. Und kommt die Flamme aus einer Gasflasche, darf auf „Freeda“ der Fang sogar gegrillt werden.
Senkt sich die Sonne über das Havelland, spiegelt die glatte Wasseroberfläche den Abendhimmel und hört man von der gegenüberliegenden Wiese die Kraniche rufen, sind die 80 Millionen Einwohner Deutschlands unendlich weit weg. Ohne Mobilfunknetz und Lichtsmog, dafür mit röhrenden Hirschen im Unterholz und schlagenden Käuzen in den Kiefern – auch Uhus fühlen sich in der Region mittlerweile wieder heimisch. Kein Wunder, gelten sie doch als Vögel, die sehr wasseraffin sind.
Wo also lebt es sich dann besser als in den Wäldern des Havellandes? Mit nur etwas mehr als einem halben Meter Tiefgang kann „Freeda“ direkt in Ufernähe ankern, um dieser Natur besonders nahe zu sein. Wichtig ist dabei nur, den vorherrschenden Wind im Auge zu behalten und bei der Wahl des Ankerplatzes zu berücksichtigen. Im besten Fall weht er ablandig, und eine Bucht bietet zu zwei, besser drei Seiten Schutz. Weht er auflandig, könnte ein Anker ohne Halt, ein „slippender“ Anker, das Boot auf das Ufer schieben. „Wir empfehlen deshalb auch nur erfahreneren Personen zu ankern“, erzählt Markus Frielinghaus. Schiffbruch mit dem Offroader, das wäre schon eine sehr skurrile Urlaubserinnerung.
Dass das Havelland eine immer beliebtere Urlaubsregion wird, offenbart sich zur Hochsaison. Dann wird es voll auf Kanälen und Seen, in Häfen werden die Liegeplätze knapp, an den zahlreichen Schleusen wachsen die Wartezeiten. Dann ist es vorbei mit der Idylle, und die Faszination Havel-Offroad-Tour geht im Motorenlärm und Manövergeschrei der Urlauber unter. Ganz anders die Nebensaison: Im April und Oktober entfaltet das Revier einen ganz eigenen Reiz. Landausflüge runden die Floßtour übrigens perfekt ab. Nur nicht wundern, wenn man nach einer kleinen Runde mit dem Rad an Ortsnamen vorbeistrampelt, die zwei Tagesreisen zurückliegen – wem weitläufige Erkundungstouren vorschweben, dem sei ein anderes Verkehrsmittel als „Freeda“ ans Herz gelegt.
Neben der Natur, die sich vor allem von der Wasserseite aus offenbart, liegen aber auch andere kleine Perlen in der Region verstreut. Das liebevoll hergerichtete Fürstenberg etwa, das prunkvollere Rheinsberg oder mit der Stadt Oranienburg die ersten urbanen Ausläufer der Hauptstadt. Wer lieber die Seele mit Seeblick baumeln lassen will, steuert „Freeda“ in die Templiner Gewässer oder auf die Seen südlich von Neustrelitz. Grundsätzlich wäre auch ein Ausflug auf die Müritz möglich, doch fühlt sich das Floß auf den kleinen, schmalen Gewässern wohler als dort, wo der frische Westwind dem Skipper unangenehm in die Parade fahren kann. So ein Camper hat nämlich eine ordentliche Windangriffsfläche, die es zu bändigen gilt. Und höherer Wellengang ist auch nicht unbedingt „Freedas“ Paradedisziplin.
Beim Schippern durchs Land ist es auch immer empfehlenswert, sich eine Landkarte griffbereit zu legen, denn regelmäßig lassen sich vom Wasser aus Stellplätze für den Camper an Land entdecken, die des Offroaders Herz höherschlagen lassen. Immer wieder sind Waldwege und Pisten nicht für den Autoverkehr gesperrt, sodass sich die Plätze mit reinem Gewissen ansteuern lassen, sobald der Wagen am Ende des Törns wieder festen Boden unter den Rädern hat. Das macht eine Havel-Offroad-Tour zu Wasser und zu Lande gleich doppelt spannend: erst die Region im Schongang erkunden, dann noch ein wenig Staub aufwirbeln.
Die Verlockung, „Freeda“ einfach mal zwischendurch am Ufer festzumachen, um das Auto abzuladen und eine Entdeckungsrunde an Land zu drehen, ist zwar groß, aber weder möglich noch erlaubt. So wächst jedoch mit jedem Flusskilometer die Vorfreude, nach Ende des Törns noch einmal mit Seeblick zu übernachten – aber diesmal vom Ufer aus. Und wer sich gar nicht trennen kann: Der Naturcampingplatz „Wilde Heimat” bietet noch den Grad an Freiheit, der Camping so liebenswert gemacht hat. Und wer zu wasserscheu ist, um „Freeda“ seinen Camper anzuvertrauen: Dort gibt es auch Kanus, um die Havel ohne Auto zu erkunden. Aber das wäre ja nur das halbe Abenteuer.
S Ziegeleipark Mildenberg– Schleuse Schorfheide: 11 km
S Ziegeleipark Mildenberg
Gesamtstrecke: 104 km
Törnführer „Von Berlin zur Müritz“ von Bodo Müller. 96 S., zahlr. Fotos, 25 Pläne, gebunden, Format 18 x 24,6 cm; ISBN 978-3-667-10440-3. 32,90 €. www.delius-klasing.de
Gewässerkarten „Binnenkarten Atlas 2: Mecklenburgische Seenplatte“. 31 Karten, 24 Detailkarten, spiralgeb., Form. A3; ISBN 978-3-944082-14-1. 39,90 €. www.kartenwerft.de
UNSER BOOT: Freecamper (Ponton-Katamaran; Größe für Wohnwagen) · Länge: 11,80 m · Breite: 3,95 m · Tiefgang: 0,60 m · Höhe: 3,60 m · maximal zulässiges Gewicht des zugeladenen Fahrzeugs: 2200 kg · maximal mögliche Länge: 8,67 m · Motorisierung: 30 PS (Außenborder) · Wochenpreise: 690–1490 Euro.
CHARTER: Wir waren unterwegs mit einem Freecamper von Freecamper Boot & Camping, die ihre Boote in vier verschiedenen Leistungsklassen (kleine Wohnwagen, Wohnwagen, Bullis und Wohnmobile) anbieten. Vom Stützpunkt im Neuen Hafen des Ziegeleiparks Mildenberg an der Oberen Havel-Wasserstraße (Nordbrandenburg) können je nach Reisedauer Törns durch die Uckermark, weiter in Richtung Norden zur Mecklenburgischen Seenplatte oder nach Süden (Oranienburg, Berlin) unternommen werden. Kontakt: Freecamper Boot & Camping, Dorfstraße 1, 17207 Südmüritz, Tel. 039923-716 26. www.freecamper.de
UNSER AUTO: Mitsubishi L200 (Pick-up) · Länge: 5,30 m · Breite: 1,81 m · Höhe: 1,78 m (ohne Aufsatz) · Leergewicht: 2100 kg · Motorisierung: 181 PS (Diesel)
DAS REVIER Die Obere Havel-Wasserstraße ist Teil des zusammenhängenden Netzes der Mecklenburgischen, Märkischen und Berliner Gewässer, dem größten zusammenhängenden Wassersportgebiet Europas. Fast im gesamten Revier gilt die Charterscheinregelung, die das Führen eines Charterbootes nach entsprechender Einweisung für die Mietdauer auch ohne Sportbootführerschein ermöglicht. Ausnahme: auch von der Berufsschifffahrt genutzte Wasserstraßen im Großraum Berlin. Im Charterscheingebiet dagegen sind Urlauber dagegen weitgehend unter sich.
Die Infrastruktur ist sehr gut, die Navigation unproblematisch. Fahrzeuge mit eingeschränkter Manövrierbarkeit müssen jedoch auf engen und unübersichtlichen Abschnitten (Wald, Biegungen) besondere Vorsicht walten lassen. Fast alle Schleusen sind inzwischen auf halbautomatischen Selbstbedienungsbetrieb umgerüstet. Wartestellen sind vorhanden, in der Hauptsaison muss jedoch besonders im Bereich der Seenplatte an Schlüsselstellen mit längeren Wartezeiten gerechnet werden, die bis zu mehrere Stunden in Anspruch nehmen können.