Christian Sauer
· 12.03.2023
Was vor 15 Jahren in Chile begann und jahrelang in Seattle vergeblich auf Fertigstellung wartete, erlebte in Griechenland ein ebenso glückliches wie würdiges Finale. BOOTE EXCLUSIV ging mit Designer Alessandro Massari an Bord von „Project X“.
Manchmal dauert es einfach etwas länger, bis ein komplexer Bau auf Weltreise gehen kann. So geschehen auch mit „Project X“ und Golden Yachts. Der inzwischen 78 Jahre alte Grieche Paris Dragnis, der sich bereits vor seinem 26. Geburtstag das Kapitänspatent erarbeitete und als erfolgreicher Reeder bis dato schon mehr als 400 Schiffe sein Eigen nannte, hatte sich bislang in der Szene vor allem als Besitzer der „O’“-Charterflotte einen Namen gemacht. Er startete 1996 mit der 42 Meter langen Intermarine-Konstruktion „O’Pari“ als seine Privatyacht und erkannte nach zahlreichen Charteranfragen schnell das lukrative Potenzial.
Es folgten unter anderem die 85 Meter langen „O’Mega“ und „O’Ptasia“ sowie 2020 sein vorläufiges 95-Meter-Flaggschiff, das den Namen „O’Pari“ trägt und seitdem prominenten Gästen ihren Urlaub versüßt. Über die Jahre wuchs bei Paris Dragnis sowie seinen Söhnen John und Vasilis jedoch nicht allein die Erfahrung im Chartergeschäft, sondern ebenfalls bei Refits und Eigenkonstruktionen unter dem Namen Golden Yachts. Die eigenen Werftkapazitäten in Piräus wurden und werden sukzessive ausgebaut, um die noch größeren Pläne für Formate über 100 Meter realisieren zu können.
Von den Erfahrungen und den Fähigkeiten des Athener Familienunternehmens überzeugt, wandte sich der Eigner einer 59-Meter-Benetti an die Dragnis. Er wollte mit ihrer Hilfe dem sich seit Jahren im Dornröschenschlaf befindlichen Rohbau der „Z“ neues Leben einhauchen. Deren Historie begann analog zu „Victorious“ bei Marco Yachts in Chile. Mit Exterior- und Interiordesign von Ken Freivokh startete 2007 der Bau des ursprünglich noch 85 Meter lang geplanten Fünfdeckers.
Nach dem finanziellen Kollaps der südamerikanischen Werft wurde der unfertige Stahlkasko mit Alu-Aufbauten nach Seattle zu Delta Marine geschleppt. Dann wurde es wieder still um das Projekt und jahrelang passierte nichts. Das änderte sich erst mit dem heutigen Eigner, der Golden Yachts ins Boot holte und den Rohbau 2019 in die Halkitis-Werft westlich von Piräus schleppen ließ. Zur finalen Fertigstellung ging die inzwischen auf 88 Meter gewachsene „Project X“ noch einmal auf Reisen, allerdings nur wenige Seemeilen zum eigenen Werftgelände von Golden Yachts. Dort durfte der 14,80 Meter breite Koloss mit knapp 3000 Gross Tons Innenraumvolumen nach 15 Jahren endlich per Schwimmdock ins Wasser.
Verglichen mit dem ursprünglichen Entwurf von „Z“, blieben die Freivokh-Linien größtenteils erhalten. Golden Yachts optimierte allerdings den Rumpf und verlängerte das Heck angesichts heutiger Anforderungen beispielsweise im Hinblick auf die Abgasbehandlung. Die von außen augenscheinlichste Evolution erlebten mittschiffs die sich über drei Decks erstreckenden Glasfronten als prägnantester Teil der insgesamt mehr als 550 Quadratmeter großen Glasflächen an Bord. Das „X“ zog als stilgebendes Element ein und garantiert selbst aus der Ferne hohe Wiedererkennbarkeit. Hinter den sechs riesigen „X“ trägt das lichtdurchflutete Atrium die unverkennbare Handschrift von Ken Freivokh und erinnert an „Maltese Falcon“.
Die niederländischen Spezialisten von Lift Emotion steuerten einen spektakulären gläsernen Aufzug bei. Mit seiner Kapazität von 16 Personen gilt er aktuell als größter Yachtaufzug der Welt. Schwindelerregende Blicke über alle Decks hinauf oder hinab bieten zudem die gläsernen Böden der Treppe und das Oberlicht – ein „Highlight“ im wahrsten Sinne des Wortes.
Von dem atemberaubenden Atrium war der Eigner von Beginn an begeistert, berichtet Alessandro Massari, der sich im Zuge der Fertigstellung bei Golden Yachts um die Innengestaltung kümmern durfte. In die Fußstapfen von Vater Luigi getreten, erweiterte er das Portfolio von Massari Design um Hotels, private Residenzen und teils sehr große Jets mit herrschaftlichen Innenausstattungen. Die Erfahrungen mit Großformaten wie „Lady Lara“, „Queen Miri“, „Halo“ und nicht zuletzt „I Dynasty“ halfen dem Design Studio aus Fano unweit von Ancona, deren Yacht-Expertise bis ins Jahr 1969 zurückreicht, bei „Project X“ ungemein.
Das Briefing an Alessandro Massari war von den ersten Besprechungen an sehr eindeutig: ein modernes und einladendes Styling mit Fokus auf raffinierte Details sowie exklusivste Materialien. In Summe sind es am Ende über 150 geworden, neben den feinsten Hölzern, Marmorarten wie Sahara Noir, Onyx, Seidenteppichen und einzigartig verarbeiteten Metallelementen, ebenfalls mehr als 40 Lederarten samt recyceltem Fischleder aus Brasilien. „Das Schiff ist voller Details, die in Ruhe entdeckt und erkundet werden wollen“, zeigt sich Massari bei unserem Rundgang während der Monaco Yacht Show zufrieden.
Die größte Herausforderung bestand für den Italiener darin, jedem einzelnen der vielen Bereiche und Räume an Bord die vom Eigner gewünschte Einzigartigkeit zu verleihen und gleichzeitig eine harmonische Verbindung miteinander zu schaffen. Immer wieder wurde der sympathisch bodenständige und humorvolle Designer von seinem Auftraggeber gepusht:
Kreiere etwas, was ich so noch nie zuvor gesehen habe!“
Das sagt Massari mit Blick auf die Bar im Oberdecksalon, die auf rund 100 „X“-Weinflaschen zu schweben scheint. Zur Reinigung lassen sie sich entfernen, was die 28- bis 30-köpfige Crew sicherlich zu schätzen weiß. Doch die Bar ist lediglich ein Beispiel von vielen kreativen Lösungen. „Es hat geholfen, dass der Eigner so erfahren war und grundsätzlich wusste, was er wollte.“ Ein alle Decks verbindendes Element ist moderne Kunst, die der Eigner sammelt. Die Yacht gleicht einer schwimmenden Kunstgalerie. Er wünschte sich Räume, wo die Kunstwerke perfekt zur Wirkung kommen und genossen werden können, sei es in den Salons, den Lobbys oder den Kabinen. Das zeigt sich auch im Entree zur rund 240 Quadratmeter großen, rumpfbreiten Eignerkabine achtern und in der Brücke mit 180-Grad-Ausblick auf das private Sonnendeck mit rundem Jacuzzi. Das zentral installierte Bett ist ebenso wie die überdimensionale Chaiselongue ein Kunstwerk für sich – jeweils mit viel Platz ringsherum. Dagegen wirken die beiden Bäder – an Steuerbord mit Dusche und an Backbord mit Badewanne – vergleichsweise kompakt und schlicht gestaltet.
Ein Deck tiefer erreichen wir das ebenfalls rumpfbreite Eignerbüro mit Panoramablick voraus und rundem Tisch für Konferenzen mit oder ohne Video. Dahinter wurden ein Büro für Angestellte und zwei großzügige Suiten untergebracht, eine davon mit privater Lounge. Mit Blick auf Flexibilität und die maximal 19 Übernachtungsgäste bei privater Nutzung lässt sich diese per Schiebetür separieren und dank eigenem Bad als zusätzliche Kabine nutzen. Weitere vier Kabinen inklusive zweier VIP-Suiten mit XXL-Duschen befinden sich auf dem Hauptdeck. Mittschiffs gegenüber der Bibliothek mit Sitzecke und TV laden an Backbord gleich zwei Speiseräume zum Dinieren ein.
Die Deckenhöhe von 2,40 Meter beeindruckt zusammen mit dem langen Tisch für 16 Personen. An dessen Kopfende verortete Massari einen vier Meter breiten Weinschrank mit diversen Temperaturzonen, der optisch an einen Banktresor erinnert und den Wert des flüssigen Schatzes unterstreichen soll. Der kleinere Essbereich, der direkt daneben liegt und zwecks gleichzeitiger Nutzung damit verbunden werden kann, scheint für Kinder und informelle Runden zum Frühstück oder Kartenspielen prädestiniert. Ein weiterer runder Esstisch achtern auf dem Oberdeck bietet bis zu 18 Gästen Platz. Dessen drehbares Zentrum aus Merano-Glas zieht staunende Blicke auf sich und sorgt für ein gemeinsames kulinarisches Erlebnis. „Die Konzeption hat mir und meinem Team viel Spaß gemacht“, blickt Alessandro Massari auf die Entstehungsgeschichte zurück und kommentiert: „Details machen den Unterschied.“
Der vielfältige Gestaltungsansatz zeigt sich ebenfalls auf dem 250 Quadratmeter großen Sonnendeck an höchster Stelle mit rundum verglastem Windschutz, veritablem Zehn-Personen-Whirlpool sowie viel Freiraum für Yoga, Pilates und Fitness. Im klimatisierten „Wintergarten“, der bequem mit dem gläsernen Lift erreichbar ist, warten zahlreiche Technogym-Geräte auf sportlich Begeisterte, zwei kleine Ruheräume mit Tagesbetten garantieren eine entspannte Atmosphäre. Die äußere Spiraltreppe hinunter passieren wir das Eigner- und Oberdeck und erreichen schließlich das Hauptdeck.
Der 7,50 mal drei Meter messende, gläserne Pool samt Wasserfall bietet Einblicke in beziehungsweise Ausblicke aus dem Beachclub und Spa darunter. „X“-Zierelemente an den Flanken des Pools greifen das Designthema unten wieder auf. Für das exquisite Wellness-Erlebnis hält „Project X“ einen Behandlungs- und Massageraum, Hammam sowie eine finnische Sauna bereit. Als herausragendes Detail konzipierte Massari zentral im Beachclub eine Sitzgruppe, die rotiert und in zwei halbrunde Sofas geteilt werden kann. So ist der perfekte Blick auf die Bar achtern, auf das Meer oder den TV-Screen garantiert. Sofern nicht im Einsatz, werden an Backbord diverse (E-)Fahrräder, Wasserspielzeuge und das neun Meter lange Mahagoni-Walkaround von Pedrazzini Vivale verstaut.
Mittschiffs an Steuerbord parken die Zehn-Meter-Limousine des griechischen Herstellers Onda und vier SeaDoo WaveRunner. Zwei 6,30 Meter messende RIBs lagern im Bug unter dem Touch-and-Go-Helipad. Darauf können alle gängigen Aerotender mit 2,8 Tonnen Maximalgewicht abgefertigt werden. Eine Reichweite von 9 500 Meilen ermöglichen bei 12,5 Knoten und vollen 320 000-Liter-Bunkern weltweite Reisen. Mit den beiden je 1920 Kilowatt starken Caterpillar-Dieseln sind 16 Knoten Höchstgeschwindigkeit möglich. Naiad-Flossenstabilisatoren sorgen auch vor Anker für Komfort.
Das vielseitige wie vollendete Gesamtpaket von „Project X“ mit MCA-Zertifizierung nach dem Large Yacht Code (LY3) können Chartergäste zu Wochenraten ab einer Million Euro oder Kaufinteressenten für 160 Millionen Euro jeweils über Burgess honorieren. Und Golden Yachts? Das griechische Familienunternehmen um Paris Dragnis plant zukünftig jedes Jahr ein neues Großformat abzuliefern – die Weltpremiere der im Bau befindlichen 78-Meter-Yacht ist für die kommenden Monaco Yacht Show im September anvisiert.